4. 30+ Leichtathletik - zwischen Ansprüchen und Lächerlichkeit Da war mal eine Diskussion in einem alten Forum. Es wurde behauptet zwischen den sogenannten Aktiven und den Ü30, bekannt als Seniorenleichtathletik sei ein Bruch. Dem wurde widerspochen. Richtig ist aber, der Bruch ist wohl vorhanden. Zumindest was das wahrnehmbare obere Leistungsniveau angeht. Von den Schülern über die Jugendlichen zu den “Aktiven” scheint das noch alles recht kontinuierlich zu laufen. Natürlich gibt es eine Selektion nach Leistung und so mancher wirft mit 20, 25 Jahren alles hin weil berufliche und eventuelle familiäre Belastungen steigen und den Aufwand gerade bei nicht so starken Leistungsniveau nicht zu rechtfertigen scheinen. Wer zu den 20 Besten zählt in Deutschland unter den Aktiven, dem fällt das nicht im Schlaf zu. Das ist ein entweder oder. Man will dabei sein und hat den entsprechenden Trainingsaufwand oder läßt es bleiben. Wenn ich pro Tag zweieinhalb Stunden im Training schwitze, dann brauche ich es eben und überlege nicht, die Zeit auf eindreiviertel Stunden zu kürzen. Es geht hier also so ein wenig um Alles oder Nichts. Bin ich als Aktiver 32 Jahre alt, bin ich nach wie vor bei den “Jüngeren” mit dabei, ein Start bei den sogenannten “Senioren” wäre doch ein Unding. Schaut man sich die Meisterschaftsergebnisse der Ü30 an, so fällt einem die relative “Leistungsschwäche” der AK 35, AK 40 und AK 45 auf. Das ist genau der Bruch von dem die Rede war. Irgendwann hatte Armin Harry die Nase voll vom täglichen 5-h-training und warf die Nagelschuhe in die Ecke. Er hätte ja auch mit 2,5 Stunden täglich weitermachen können und Jagd auf die Ü30-Rekorde. Nein, so läuft das nicht. Die meisten ehemaligen Aktiven haben die Quälerei irgendwann satt und hören im Prinzip ganz auf. Bei den Ü30 kommt jetzt die Stunde der Quereinsteiger, Spätberufenen, Frühereträumerealisierer und Selfworthseeker. Ganz sporadisch und eher selten mischt sich dann irgendwann mal auch wieder ein bekannterer Name von früher darunter. Eine Statistik der deutschen Meisterschaftsergebnisse der Ü30 belegt die Inhomogenität der Ü30. Teils hochklassige Wettbewerbe in Rekordnähe der besten Teilnehmer wechseln sich ab mit dürftigen Ergebnissen in Disziplinen, wo bei kümmerlichen Teilnehmerfeldern sich Athleten “Deutsche Meister” nennen dürfen, was der Reputation dieses Titels vielleicht nicht so gut tut. Porto Alegre, Freiluft-WM, 2013. Was soll man da sagen. Es sind ja alles nette Leute. Sie strengen sich an, bemühen sich, freuen sich über große und kleine Erfolge. Lernt man sie persönlich kennen, erlischt (öfters) die Bereitschaft zu Ironie und Sarkasmus, man sagt sich manche diese Leutchen hier sind doch eigentlich viel netter als manche verbissene Einzelkämpfer an der Leistungsspitze der Ü30, denen die Anreise zu teuer war. Sicher, wer sich den Trip nach Brasilien nicht leisten konnte oder wollte, ist nicht hier. Was man natürlich als sportliche Verzerrung werten könnte. Aber wer will denn so kleinlich sein? Dem Besserverdienden die Titelhamster-Chance madig machen? Dann sieht man die 85-jährigen beim 100 m Sprint und endlich kommt bei den Zuschauern richtig Stimmung auf. Ist doch eigentlich ganz drollig hier. Es gibt ja auch bei der WM keine Mindestleistungen und gerade alle die sympathischen und viele nicht so leistungsbesessene Leutchen kommen die sonst durch das Raster fallen würden. So wie sich Realität darbietet, besitzt Ü30 schon gehörige Züge von Breiten-, bzw. Freizeitsport. Eben auch bei den Top-Events vermischt sich Weltklasseniveau mit dem Niveau von Sportabzeichenaktivitäten oder einem wöchentlichen Hausfrauen-Lauftreff. Es gibt auch noch ein Tabu-Thema, das äußere Erscheinungsbild. Wenn die Phalanx muskelgestählter und durchgestylter Athleten beim 100 m Lauf bei Olympia sich in die Startposition begibt, ist das eine beeindruckende Szenerie. Wer, egal in welcher Altersstufe, irgendwie noch etwas Ästhet geblieben ist, der würde halt manchem Ü30-Athleten vielleicht die Haarpracht kürzen und ein oder zwei Produkte der Kosmetikindustrie nahebringen wollen und dem anderen vielleicht vorschlagen mögen, sich nach 20 Jahren treuer und ehrenhafter Benutzung seines Trikots sich eventuell um ein Modell aus einer neueren Kollektion bemühen zu wollen. Der Mut, dieses kitzelige Thema überhaupt anzuschneiden erwächst aus der Erkenntnis, daß ja oft bei Ü30 beklagt wird, die Öffentlichkeit und die Medien behandeln Ü30 stiefmütterlich bzw. machten sich sogar lustig über das Dargebotene. Aber nun mal ganz ehrlich, ist nicht jedem bei Ü30-Wettbewerben schon mal der Gedanke gekommen, daß sich da mal ein Bäuchlein unter dem Einfluß fortgesetztem Pilsgenusses übermäßig beult und woanders der übermäßige Verzehr von Konditoreiprodukten zu irritierenden Körperformen führte? Das klingt lustig, aber der ernstere Sinn dahinter: Ein Zuschauer erwartet irgendwie, bewußt oder unbewußt, daß das Äußere irgendwie den Willen und die Einstellung des Sportlers wiederspiegelt “Ich will will hier was leisten, ich trainiere hart, ich laß mich nicht gehen und will auch für mein Äußeres eine gewisse Verantwortung übernehmen.” Wer also möchte, daß sich die Ü30, vor allem natürlich da wo auch mehr hingesehen wird, leistungsbetont und auch attraktiv für Zuschauer darstellt, müßte eigentlich schon daran einige Gedanken verschwenden. Natürlich muß nicht jeder sein Trikothemdchen hartinggleich in Stücke reißen oder gestylt wie Ariane Friedrich einlaufen. So, das war jetzt etwas Anlauf zum Kernthema. Soll Ü30 einen leistungsmäßig hochklassigen Überbau bekommen? Da wo es sinnvoll ist? Also bei deutschen und internationalen Meisterschaften? Mit Mindest-Teilnahmeleistungen die sich gewaschen haben? Mit Preisen für die ersten Drei die sich lohnen? DM, EM und WM kleiner, aber feiner? Was hat die Ü30-Leichtathletik im sportlichen Sinn davon, wenn 5000 Teilnehmer die Hotels der Veranstalter-Stadt fluten? (Vielleicht gäbe es hier aber Kompromiß-Lösungen) Nochmal an alle, die gerne eine Aufwertung von Ü30 sehen würden durch eine Leistungselite: So wie sich die 30+ momentan bei DM, EM und WM präsentiert, wird das nichts! Es gibt viel zu wenig Substanz an hochklassigen Athleten! Guido Müller, Wolfgang Ritte, Lidia Zentner und ein paar anderen folgt ein sehr überschaubares Anschlußfeld, doch diese gehen fast unter in der Übermacht der Breitensportler. Mit den vorhandenen Spitzen-Athleten ließen sich einige interessante, auch publikumswirksame Duelle in Szene setzen wie z. B. Müller vers Beckering. Aber auf diesem Niveau kann man heute noch keine DM, EM oder WM durchgängig bestreiten. Die notwendige Menge an hochklassigen 30+ Athleten ist einfach (noch) nicht vorhanden um bei großen nationalen und internationalen Event für ständig hochinteressante und spannende Wettkämpfe zu sorgen. Der DLV könnte natürlich z. B. für deutsche 30+ Meisterschaften knallharte Mindestleistungen fordern. Die Konsequenz wäre eine Meisterschaft zu der 120 Sportler angereist kommen, die in ihren Disziplinen nicht selten alleine an den Start gingen gingen. In Nordamerika soll die 30+ LA tatsächlich Sponsoren finden, oder jemand, der z. B. ein Ingenieurbüro besitzt kann seinen WM-Titel umsatzfördernd einsetzen. Das zeigt, daß es prinzipiell möglich ist, auch 30+ aufzuwerten im Bewußtsein der Öffentlichkeit. Die Leichtathletik kämpft ohnehin um ihre Attraktivität in der Öffentlichkeit. Attraktivere Leichtathletik würde natürlich auch Ü30 schon mal einen Schub geben. Das andere Problem liegt darin, die Wirtschaft und damit die Sponsoren einzubinden. Die sind nicht an Breitensportlern auf Selbsterfahrungspfaden, sondern an Stars interessiert, die leuchten, die öfters in den Medien präsent sind. Die sind aber erst mal nicht vorhanden in der notwendigen Menge. Prinzipiell vorhanden müssten sie schon sein, aber wo sind die Tausende von ehemaligen Aktiven, die ehemals die Bestenlisten füllten? Haben sich scheinbar in Luft aufgelöst. Warum? weil sich die Plackerei offensichtlich nicht mehr lohnt. Das erinnert alles so ein wenig an die Kirchen, denen die Schäfchen heutzutage davonlaufen. Aber sollen jetzt unbedingt Ministrantinnen im Tanga junge Leute wieder in die Gottesdienste locken? Zumindest sollten aber professionellere Bemühungen angestellt werden, die LA so umzubauen, daß die Leute LA-Wettbewerbe wieder aufregender als bisher wahrnehmen. Bei den 30+ kommt hinzu, daß endlose Altersklassen Veranstaltungen endlos dehnen. Als Unterbau der Leistungspyramide und Gelegenheit für Jedermann sei das alles o. k. Aber, wir reden hier über den gewünschten Überbau der Ü30 als Zugpferd und dem Ziel eine zahlenmäßig größere Elite zu schaffen die in der Öffentlichkeit glänzt und Vorbild und Ansporn ist für die Basis. Wie wäre es mit einem von BMW gesponserten 100 m Lauf für 50-jährige? Wenn der in der Tageszeitung groß angekündigt wird ist was los im Stadium! Vielleicht würden je nach Ereignis eine ganze Reihe Disziplinen wegfallen müssen. Warum 100 und 200 m Lauf nebeneinander? Wem tut der Wegfall von Hammerwurf W75 weh? Änderungen um die Leichtathletik “aufzupeppen” müßten in den unteren Leistungsstufen genau so vorgenommen werden wie oben: Mehr Unterhaltungswert, mehr Transparenz (Ergebnisse erscheinen sofort in Datenbanken) und damit interessanter. Die eben erwähnte, von der Wirtschaft unterstützte Ü-30 Elite wäre das Vorbild. Eins ergibt natürlich das andere. Das Potential bei Ü30 dürfte enorm sein. Es müßte nur irgendwie ins Rollen kommen. Und darum scheint sich im Moment niemand zu kümmern. Den 20-30 jährigen stehen in der Gesamtzahl fast fünf mal so viel 30-80 jährige gegenüber. Und ein 55 jähriger sucht den Erfolg u. U. genau so wie ein 25 jähriger. Wenn es für ihn Sinn macht. Auf dieser Seite ist die Meinung vertreten, der Ü30 Leichtathletik einen attraktiven Überbau geben zu wollen auf hohem sportlichen Niveau. Die Vermischung mit dem nicht so leistungsorientierten 30+ Anteil sollte aber nicht grundsätzlich verhindert werden, würde sich aber dort wo sinnvoll von selber regeln durch Mindestleistungen und Leistungsstandards für Medaillenvergabe bei Top-Wettbewerben. Unterstützend müßte weiter darauf gedrungen werden, offizielle und aktuelle Besten- wie Rekordlisten durch die Verbände bereitzustellen, weil sonst vielen Sportlern die absolut notwendigen Grundlagen fehlen. Auf internationaler Ebene sollte der DLV Mindestzulassungen bei EM und WM durchzusetzen bzw. zu überlegen, wie EM und WM die sportliche Bedeutung erhalten, die man mit diesen Begriffen verbindet. Nachwort: Bei sogenannten “Aktiven” gibt es ja auch viele Sportler mit Leistungen, die durchaus respektabel sind, aber eben im Vergleich im unteren Bereich liegen. Nur ist dies überhaupt kein Thema. Bei den 30+ entsteht dieses Problem, weil sich hier bisher Weltklasse und Freizeitbereich erbarmungslos mischen. Und dann der Stabhochspringer mit weißem Bart bis zur Startnummer runter, der sich den Stab in die Rippen bohrt, zum Sinnbild und zur Karikatur der Ü30 wird. Darauf stürzen sich die Medien, das bleibt dann hängen in der Öffentlichkeit. Opasport für scheinbar klapprige Überehrgeizige, die sich wegen Selbstüberschätzung selber gefährden. Dabei ist es erst mal ganz nett und reizend wenn sich reifere Leute noch sportlich betätigen. Nur sollte man dann nicht die Elite und die Hobbyfraktion in einen Topf werfen. Tut letztenendes beiden nicht gut! Beide Lager müssen nämlich schon sehr unterschiedlich betrachtet und bewertet werden. |